Der Philosophische Montag

Der Philosophische Montag ist ein neues Veranstaltungsformat der Arbeitsstelle für Lessingrezeption. In der Regel am letzten Montag des Monats werden wir gemeinsam philosophische Themen und Texte mit aktuellem Bezug vorstellen, diskutieren und weiterdenken. Die Veranstaltung möchte interaktiver sein als das bei reinen Vorträgen der Fall sein kann. Wir möchten ausdrücklich Teilnehmer mit verschieden stark ausgeprägtem Engagement für die Veranstaltung ansprechen: Willkommen ist, wer nur zuhören möchte, wer über das Gehörte mitdiskutieren möchte, wer zur Vorbereitung Texte lesen möchte, wer selbst ein Thema vorstellen möchte. Die Arbeitsstelle wird die einzelnen Themen jeweils in einen größeren Zusammenhang einordnen und anmoderieren.
Für das Jahr 2025 wird die Veranstaltungsreihe unter der Überschrift Populismus und Aufklärung stehen. Damit hoffen wir, einen aktuellen Rahmen gesteckt zu haben, innerhalb dessen wir uns mit dem Spannungsfeld zwischen Politik, Wissen und Gefühl beschäftigen können. Dazu werden im Austausch mit den Teilnehmern einzelne Themen aus dem Bereich der politischen Philosophie, der Erkenntnistheorie, der Ethik und Sozialphilosophie sowie auch Themen aus dem Bereich der Psychologie benannt werden.

Die Veranstaltungen

#1 | 27. Januar 2025: Platons Vision. Wir beginnen mit der Frage, ob es eine objektiv richtige, rein wissensbasierte Politik gibt, welche Form von Gesellschaft darauf aufgebaut werden könnte und ob dies möglich oder wünschenswert wäre. Der Klassiker für eine solche Vision ist Platon, der sich in mehreren seiner Schriften vorgestellt hat, wie eine Regierung, ein Staat und eine Gesellschaft aussehen würden, wenn es ein unbezweifelbares Wissen gäbe und die Herrschenden dazu einen Zugang hätten. Im Rahmen unseres Jahresthemas wäre das scheinbar die jeder Form von Populismus am strengsten entgegengesetzte Verfassung der Gesellschaft.

#2 | 24. Februar 2025: Platons Vision – Genauer betrachtet. Unter Populismus versteht man oft die Strategie politischer Akteure, ihr Reden und Handeln an eher sachfremden, emotionalisierten Meinungen von Bevölkerungsgruppen auszurichten sowie diese Meinungen gezielt zu manipulieren und zu instrumentalisieren. Benutzt man das Wort in diesem Sinne negativ, als Vorwurf, dann scheint man zu implizieren, dass Politik eigentlich ganz rational zu sein hätte und lediglich auf Wahrheit und Vernunft zu gründen sei. Genau diesen Weg, so dürfte in der ersten Veranstaltung klar geworden sein, hatte Platon mit seiner Vision vom idealen Staat eingeschlagen. Nachdem die Struktur dieses Staates vorgestellt wurde, ergaben sich eine Reihe von tiefergehenden Fragen, so etwa nach der Vorstellung von unserer ›Psyche‹ oder dem genauen Sinn der ›Platonischen Ideen‹, von denen die Rede war. Die Teilnehmer haben daher dafür gestimmt, dass wir uns (mindestens) ein zweites Mal mit Platons Theorie auseinandersetzen. Da die politische Lehre Platons ihren Rückhalt in seiner Psychologie und Ideenlehre findet, werden zunächst diese erläutert werden, bevor wir uns weitere Aspekte des Staatsentwurfs anschauen.

#3 | 31. März 2025: Platons Vision – Hinterfragt. Nachdem wir mit Platon die Intuition verfolgt haben, dass man dem Populismus mit einer auf absoluter Wahrheit basierenden staatlichen Organisation begegnen müsste, gehen wir nun zu einer kritischen Prüfung dieses Konzeptes über. Wir hatten schon gesehen, dass uns das absolut sichere Wissen der Philosophenkönige auf eine bestimmte Ontologie (Metaphysik) verpflichtet und dass dieses Wissen nur mittels einer strengen Auslese, eugenischer Maßnahmen und der Täuschung der Bevölkerung in die Praxis umgesetzt werden kann. Das lässt den Gedanken, dass dem Populismus mit strenger Rationalität zu begegnen sei, ambivalent und weiter klärungsbedürftig erscheinen: Was, wenn der Traum von der ideal geordneten Welt selbst genau das wäre, was populistischen Entwürfen ihre scheinbare Plausibilität und Anziehungskraft leiht?! Was, wenn wir dem ›Zauber‹ Platons auf den Leim gegangen sind?! Im Rahmen seines ›Kritischen Rationalismus‹ stellte sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts Karl Popper solche Fragen und unterzog den Platon’schen Entwurf einer gründlichen Revision. Mit seinem Konzept der ›Offenen Gesellschaft‹ bietet er dabei eine andere Möglichkeit an, Aufklärung angesichts des Populismus zu verstehen und lebendig zu halten.

#4 | 28. April 2025: Die Angst vor der Freiheit. Die erste Intuition, dem Populismus einfach mit Vernunft und Wahrheit zu begegnen, hat sich angesichts ihrer diktatorischen Nebenwirkungen als zu naiv erwiesen. Die Vernunft einer politischen Ordnung, so hatte Karl Popper gezeigt, sollte nicht in der Bindung an eine letzte Wahrheit bestehen, sondern in der Durchlässigkeit, Offenheit und Flexibilität gegenüber aktuellen Problemen. Wichtiger als die Frage, wer herrschen soll, ist die Frage, wie man Menschen die Macht wieder entziehen kann; und einer Politik, die auf ein umfassendes Ideal hinarbeitet, ist die Politik der kleinen Schritte und einzelnen Verbesserungen vorzuziehen – so Popper.
Damit hat sich uns die Thematik ›Populismus und Aufklärung‹ mehrfach gewandelt. Einerseits wäre zu fragen, wie sich die Begriffe von Aufklärung und Vernunft deuten lassen, sodass sie mehr auf einen Prozess als auf ein Ergebnis verweisen. Andererseits wäre zu beleuchten, wie es dazu kommt, dass manche Menschen eher einer offenen Gesellschaft zuneigen und deren Unvollkommenheiten und Ambiguitäten akzeptieren können, während andere glauben, der Last der Freiheit in modernen Gesellschaften durch die Bindung an ein religiöses, historisches oder biologisches Herkommen entfliehen zu können.
Letztere Frage ruft eine eher psychologische Dimension unserer Thematik auf und die Teilnehmer haben sich entschlossen, zunächst in diese Richtung zu schauen. Beginnen werden wir mit Erich Fromms Text ›Die Angst vor der Freiheit‹ sowie mit einigen Ausführungen Eugen Drewermanns, der Fromms Psychologie aufgegriffen und weiter interpretiert hat.

#5 | 26. Mai 2025: Die Unvernunft der Vernunft. Nachdem sich unser Blick auf die Konstellation von Populismus und Aufklärung insofern geweitet hatte, dass die Vernunft, die man dem Populismus entgegenhalten muss, eher im Prozess einer ›offenen Gesellschaft‹ zu suchen ist als in endgültigen Wahrheiten und idealen Endzuständen, hat sich uns die Frage nach der Rolle psychologischer Mechanismen aufgedrängt. Wie kommt es, dass verschiedene Menschen mit den Möglichkeiten, aber eben auch den Lasten der Freiheit in modernen Gesellschaften so unterschiedlich umgehen?
Mit Erich Fromm hatten wir die heute vordergründig politischen Konstellationen mit der grundsätzlichen Situation des Menschen in der Welt ins Verhältnis gesetzt. Das Herauswachsen aus primären Bindungen, so hatte Fromm argumentiert, ist einerseits befreiend und ermöglicht persönliches Wachstum; andererseits führt es zu Verunsicherungen aller Art. Drei psychologische Flucht-Mechanismen wurden von ihm benannt, die von den Menschen genutzt werden, um der Freiheit auszuweichen: Autoritarismus, Destruktivität und Konformismus. Alternativ sei ein ›produktiver‹ Umgang mit der Freiheit möglich, der zu einer authentischen, individuellen Reifung führe. Das dazu passende Konzept von Vernunft wurde von Fromm um Aspekte erweitert, die einer rationalistischen oder instrumentellen Verengung des Denkens entgegenwirken sollen, und in deren Zentrum ein universelles Wohlwollen (›Liebe‹) steht.
Dies gilt es näher zu verstehen und auszubauen. Dazu werden wir uns mit einigen frühen Arbeiten Eugen Drewermanns befassen, in denen Fromms Gedanken weiterentwickelt und konkretisiert wurden. Zugleich ist Drewermann für die Leitthematik der Veranstaltungsreihe eine sehr interessante Figur, zeigen sich an ihm doch einerseits Legitimität und Fruchtbarkeit der Einbeziehung des Irrationalen im Menschen. Damit steht er in einer Tradition mit Schopenhauer, Klages oder Freud. Andererseits fällt Drewermanns Aufgabe seines ruhigen, klar argumentierenden Stils zugunsten eifernder und pauschal behauptender Beiträge in jünger Vergangenheit auf. Lassen sich daran wiederum Grenzen und Gefahren der Vernunftkritik ablesen?

#6 | 30. Juni 2025: Die Aufklärung der Aufklärung: Stationen der Vernunftkritik. Nachdem mit der psychologischen Wende unserer Diskussionsrichtung anthropologische Fragen nach der grundsätzlichen Verfassung und Ausstattung des Menschen aufgekommen waren, haben wir mit Eugen Drewermann versucht, psychische und quasi spirituelle menschliche Grundbedürfnisse mit ins Kalkül zu ziehen. Zentral dabei war auch für ihn das innere Wachstum zur Freiheit durch die Bewältigung der Angst vor dem Dasein. Durchaus im Einklang mit sehr frühen Vertretern aufklärerischen Denkens hatte Drewermann auf die Verhaftungen in und Deformationen durch gesellschaftlich verbreitete Systeme des Denkens und Handelns hingewiesen und argumentiert, dass der Gebrauch unserer Vernunft letztlich davon abhängt, inwieweit wir uns von den psychischen Zwängen und Einschränkungen solcher Systeme lösen können. Geschieht das nicht, wird Vernunft zu einem Instrument der Verdeckung der Wahrheit, der Rechtfertigung der Grausamkeit, der Flucht vor der Freiheit. Es kann dann eine Ideologie der Vernunft geben, die völlig unvernünftig ist, weil sie die eigentlichen Themen der Menschen umgeht. Dieser eher therapeutische Zugang zum Thema Populismus und Aufklärung führt uns zu einer verständnisvollen Annahme jedes einzelnen Menschen, zum Blick auf dessen (und unsere) inneren Kämpfe und dazu, mit einem sehr weiten Spektrum des Erlebens und Denkens von Menschen zu rechnen, je nach der individuellen Lebensgeschichte. Vordergründig moralisierende oder gar juristische Beurteilungen werden so von Drewermann zurückgewiesen.
Anlässlich dieses Beitrags stehen nun mehrere neue Fragen in Raum, denen wir uns in den kommenden Sitzungen widmen müssen: Zum einen ist zu klären, was an die Stelle entlarvter Ideologien zu setzen wäre: Bedarf es nicht letztlich stets eines umfassenden Denkrahmens, innerhalb dessen wir der Welt und unseren Handlungen darin einen Sinn geben und Bewertungen vornehmen? Und gibt es dabei sozusagen gute und schlechte Weltanschauungen? Zum anderen ist zu klären, wie wir uns auf eine – jenseits aller Unterschiede und Befindlichkeiten – gemeinsame Vernunft beziehen können, die uns Regeln des Diskutierens und Prüfens gibt, ohne die eine gesellschaftliche Verständigung über beliebige Themen absolut unmöglich ist. Eine solche Vernunft ist, wie es in der Philosophie heißt, »unhintergehbar«, weil der Versuch, sie zu bestreiten, sie bereits voraussetzen würde.
Insofern sind wir in eine recht widersprüchliche Situation geraten: Einerseits sehen wir – auf der Basis psychologischen Verstehens – die Rolle und Bedeutung vernünftigen Denkens eingeschränkt. Andererseits müssen wir Vernunft immer schon bemühen und in Anspruch nehmen, wann immer wir etwas sagen, behaupten oder mitteilen wollen.
Wir werden uns daher in den nächsten Sitzungen gründlicher mit der philosophischen Vernunftkritik in verschiedenen Epochen auseinandersetzen. Am Anfang soll ein Klassiker stehen, nämlich Kants Schrift zur Frage, was denn Aufklärung sei.

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